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Arbeitsgemeinschaft „Historische Nahverkehrsmittel Leipzig“ e. V.
Nach 85 Jahren – ein Projekt wird vollendet
Am 19. August 2000 fand mit der Eröffnung der Brücke im Zuge der Zwickauer Straße ein Projekt seinen Abschluss, welches schon im Jahre 1915 begonnen worden ist. Zur Verkehranbindung der gerade entstehenden Gartenvorstadt Marienbrunn und als südliche Ausfallstraße über Dölitz wird vom Bayerischen Bahnhof aus die Österreicher- (später Zwickauer Straße) geplant. Im Zeichen der Weltwirtschaftskrise wurden die Bauarbeiten 1931 eingestellt und eine provisorische Holzbrücke für Fußgänger und Straßenbahn errichtet. Es ist so eine Eigenart von Provisorien, sie leben wesentlich länger, als ursprünglich beabsichtigt. In unserem Fall fuhr die Straßenbahn bis 1967 über die Brücke, Fußgänger konnten sie noch bis 1982 benutzen. In den 1970er Jahren hat das VTK (Verkehrs- und Tiefbaukombinat) Leipzig die Entfernung der Gleise auf der Brücke immer wieder abgelehnt, da sie seiner Meinung nach die Brücke wesentlich stabilisierten. Als man Anfang der 1980er Jahre dann doch die Gleise entfernte, zeigte sich, dass die Aussage des VTK richtig war. Kurz danach musste die Holzbrücke abgerissen werden. Sie wurde in den folgenden Jahren durch eine neue Betonbrücke für Fußgänger ersetzt. Im Jahr 1996 begannen die Bauarbeiten für die neue Stadtbahntrasse zwischen Lößnig und Innenstadt, deren Bestandteil auch die Errichtung einer neuen vollwertigen Brücke mit Straßenbahntrasse war.

Wir entschlossen uns, mit dem Wagen 1206 an der Brückeneröffnung teilzunehmen. Eine große Rolle spielte dabei ein Foto aus dem Jahre 1967, aufgenommen an einem regnerischen Julitag. Es zeigt den Gothagelenkzug 1139 als Linie 26 auf der alten Holzbrücke in Richtung Märchenwiese. Was heute verklärend ein bisschen wie Holzbrückenromantik aus der Pionierzeit der Eisenbahn wirkt, wurde 1967 von den Marienbrunnern noch als beschwerliche Fahrt im Schritttempo über die „Angstbrücke“ empfunden. Mit dem Ende dieses Provisoriums, kam auch das Ende der Linie 26, welche als erste Linie aus der bis dahin durchgehenden Nummernreihe von 1-30 zugunsten der Linie 16E herausfiel. An dieses Bild wollten wir anknüpfen und mit der Linie 26 die Strecke (wieder-) eröffnen. Zu diesem Zweck mussten extra neue Glasscheiben für die Linienbeschriftung angefertigt werden. Als Linienspinnen fanden 2 Originale, eine von unserem Vereinsfreund Klaus Kröber und die von der Möckernschen Hallenrückwand Verwendung. Zwei größere Schautafeln mit Bildern und der Geschichte der Straßenbahn nach Lößnig und Marienbrunn wurden zusätzlich auf der Nichteinstiegsseite eingebracht. Als besondere Überraschung wurden noch 413 Sonderfahrscheine gedruckt.

Gegen 09:30 Uhr rückte dann der komplett beschilderter Zug der Linie 26 mit dem Ziel Märchenwiese aus dem Straßenbahnhof Möckern aus. Am Schaltrad saß unser Vereinsfreund Gert Muske. Bis zum Chausseehaus blieben die Vereinsmitglieder noch unter sich, dann stellte sich der erste reguläre Fahrgast ein. Woher die ältere Frau wusste, dass es einen Eröffnungszug geben würde, blieb ihr Geheimnis. Gegen 10 Uhr erreichte der Zug die Brücke, auf der Gegenseite  hatte der Wagen 1134 Aufstellung genommen. Unter dem Beifall zahlreicher Anwesenden hielten der Beigeordnete für Planung und Bau der Stadt Leipzig und ein Geschäftsführer der LVB kurze Ansprachen. Mit 3 Böllerschüssen wurde die Strecke schließlich eröffnet. Innerhalb kürzester Zeit fühlte man sich in die Zeiten des einstigen Berufsverkehrs zurückversetzt. Der Wagen war bis auf den letzten Stehplatz besetzt und passierte die Brücke um 10:17 Uhr zum ersten Mal. Um 10:45 Uhr begann schließlich der Sonderverkehr zwischen Lößnig und Windmühlenstraße. Als dritter Kurs gesellte sich der als Linie 16E beschilderte Triebwagen 1852 ein, der von „seinem Beschützer“ Arndt Härtel gefahren wurde. Auch in den folgenden 8 Runden blieb unser Zug gut besetzt, zuweilen war er auch überfüllt. Allerdings waren die Sonderfahrscheine gegen 12:45 Uhr restlos ausgegeben, so dass bis zum Ende der Fahrten schätzungsweise 800 – 1000 Personen unseren historischen Zug der Linie 26 benutzt haben. Etliche Fahrgäste, die an der Mittel- und Vordertür eingestiegen waren, haben im Gedränge den Schaffnerplatz überhaupt nicht erreichen können. Natürlich wurde die Möglichkeit genutzt, kräftig für unser Straßenbahnmuseum zu werben, welches am nächsten Tag geöffnet hatte. Etliche Besucher zeigten am Einlass ihre am Tag zuvor erhaltenen Fahrkarten vor. Und genau das sollten wir in Zukunft beibehalten, statt der bisherigen mehr oder minder erfolglosen Fahrten zu Stadtteilfesten und ähnlichem (letztes Jahr z. B. zum MDR-Fest), sollten wir lieber zu solchen Anlässen kostenlos verkehren und dafür mit Sonderfahrscheinen für unser Museum werben. Der so mühsam erstellte schwarze Mann (siehe Artikel in diesem Heft) könnte den nächsten Sonderfahrschein zieren.

Doch zurück zur Linie 26. Ein großes Problem stellte für uns die Tatsache dar, dass man für den Fahrplan nicht berücksichtig hatte, dass die 1206 halt ein bisschen langsamer ist, als unsere heutigen Fahrzeuge und über kein RBL verfügt. Damit hatten wir ständig Verspätung, so dass wir im Laufe des ganzen Tages, nur ein einziges Mal eine Pause von gerade 2 Minuten in Lößnig hatten. Natürlich wurde immer wieder die Frage gestellt: Warum fährt ab morgen nicht die „16“ über die neue Brücke und die offizielle Antwort befriedigte viele nicht, wie auch die spätere Leserdiskussion in den Tageszeitungen zeigte. Allerdings immer wenn eine „5“ oder eine „16“ hinter uns von Lößnig über die alte Trasse zum Bayrischen Bahnhof fuhr, bog diese jedes Mal vor uns in die Windmühlenstraße ein. Einige interessante Ergänzungen zu den gegebenen Erläuterungen konnte der ehemalige LVB-Mitarbeiter Rolf Michael geben. So hat man nach seinen Aussagen in den späten 1960er Jahren eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Gelenkzüge durch Einbau von Motoren in das B-Teil oder durch Schaffung von motorisierten Beiwagen erwogen. Leider sind diese Pläne nicht realisiert worden. Mit der ursprünglich nicht vorgesehenen Zugbildung (Gelenkwagen plus 2-achsiger Beiwagen) blieb der Gelenkzug zeitlebens eine „lahme Ente“.
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